Studierende interviewen Prof. Dr. Hannes Krämer
Unter den Professorinnen und Professoren am Institut für Kommunikationswissenschaft findet sich seit geraumer Zeit ein neuer Name: Professor Dr. Hannes Krämer. Seit mittlerweile etwas mehr als zwei Jahren hat er die Professur „Kommunikation in Institutionen und Organisationen“ inne.
Text und Interview: Pia Nolte und Michèle Schröder
Professur für Kommunikation in Institutionen und Organisationen am Institut für Kommunikationswissenschaft
Seit dem Wintersemester 2015 kann die Kommunikationswissenschaft an der Universität-Duisburg-Essen wieder im Bachelor- und Masterstudienfach studiert werden. Nach der personellen Neuaufstellung wird das Fach nun von einer Professorin und zwei Professoren und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertreten: Herr Dr. Jens Loenhoff übernahm 2007 die Professur "Allgemeine Kommunikationstheorie". Frau Dr. Karola Pitsch trat 2014 die Professur "Interpersonale Kommunikation" an. Und im Sommersemester 2018 hat Herr Dr. Hannes Krämer den Ruf auf die Professur "Kommunikation in Institutionen und Organisationen" angenommen. Laut der Kustodin des Instituts Frau Dr. Karin Kolb ergänzen sich die Arbeitsbereiche der Professuren, die die drei Säulen der Essener Kommunikationswissenschaft ausfüllen, ideal.
Die aktuellen Forschungen führen die Tradition der am Institut betriebenen Kommunikationsforschung, die bei der Beschreibung und Analyse zwischenmenschlicher Kommunikationsformen unter Berücksichtigung all ihrer Varianten, einschließlich der Verwendung von Kommunikationstechnologien ansetzt und Kommunikation dabei grundsätzlich als emergentes Untersuchungsphänomen betrachtet, besonders zukunftsweisend fort. Die spezifisch institutionelle und organisatorische Perspektive, wie sie von Herrn Krämer nun in den vergangenen zwei Jahren vertreten wird, ist „ein Bereich, der so bisher nicht abgedeckt wurde. Insofern komplettiert seine Forschung das besondere Profil des Essener Instituts“, so Frau Kolb.
Forschungsschwerpunkte
Herr Krämer forscht zu Kommunikationsprozessen in Arbeits- und Organisationssettings und beschäftigt sich mit Fragen der Mobilitäts- und Grenzforschung. Ein Schwerpunkt seiner Forschung liegt darüber hinaus in den Bereichen der Soziologie der Zeit sowie der Zukunftsforschung. Er versteht sich als Vertreter mikrosoziologischer Perspektiven mit den Schwerpunkten Praxis- und Interaktionstheorien.
Von 2000 bis 2007 studierte er selbst Kommunikationswissenschaft und Praktische Sozialwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Nach dem Magisterabschluss arbeitete Herr Krämer bis 2010 unter der Leitung von Herrn Professor Dr. Andreas Reckwitz als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz. Seine 2008 und 2009 durchgeführten mehrmonatigen ethnographischen Feldforschungen in der Werbebranche dienten ihm als empirische Grundlage seiner Promotion „Die Produktion der Kreativität. Eine Ethnografie der Kreativarbeit am Beispiel der Werbeindustrie“ im Jahr 2013.
Ab 2014 leitete Herr Krämer das Forschungsprojekt „Temporale Grenzen der Gegenwart“ und ab 2017 die Forschungsgruppe „Border & Boundary Studies“ am Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION der Universität in Frankfurt/Oder und koordinierte dort die Grenzforschung, bis er im April 2018 den Ruf auf die Professur in Essen annahm. Hier bietet er neben den Seminaren zur Kommunikation in Institutionen und Organisationen auch Veranstaltungen im Bereich der Digitalen Kommunikation, Kreativarbeit und Methodologie an.
„DIE ESSENER KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT HAT INNERHALB DEUTSCHLANDS EINEN SONDERSTATUS“
Interview mit Professor Dr. Hannes Krämer
In Ihren Seminaren sprechen Sie unter anderen über Globalisierung und Digitalisierung. Mit welchen aktuellen Themen beschäftigen Sie sich derzeit?
Ich würde sagen, das sind auf jeden Fall Veränderungen in der Arbeitswelt, die etwas mit Globalisierung und digitalem Wandel zu tun haben. Ein zweiter Themenbereich ist die Grenzforschung, also die Auseinandersetzung mit Grenzziehungsprozessen, und nicht nur territorialer, sondern auch soziosymbolischer und kommunikativer Art. Da fragt man sich, wie es z. B. eine Organisation schafft, Grenzüberschreitung kommunikativ möglich zu machen. Das führt zu einem dritten Punkt: der Mobilität. Wenn Personen, Waren, Dinge und Ideen in Bewegung sind und grenzüberschreitend miteinander in Kontakt treten, kommt es zu kulturellen Veränderungen, mit denen wir uns hier auch beschäftigen.
Warum ist die Forschung rund um die Kommunikation in Organisationen und Institutionen wichtig?
Die kürzeste Antwort lautet wohl, weil wir in unserem Leben immer in Organisationen eingebunden sind. Modernisierungstheoretisch gesprochen sind Organisationen und institutionelle Rahmungen von Kommunikationsprozessen in der pluralisierten Gegenwartsgesellschaft allgegenwärtig.
Haben Sie hierfür ein konkretes Beispiel?
Ja, nehmen Sie doch Ihre eigene Biografie im Lichte von Organisationen. Sie haben in der Schule ganz bestimmte kommunikativen Routinen kennen gelernt, die zentrale Bestandteile der alltäglichen Organisation früher Bildungserlebnisse sind – Frontalunterricht, mündliche Wissensüberprüfungen aus dem Stegreif, Tests, Einträge ins Klassenbuch usw. Und diese unterscheiden sich wiederum von den kommunikativen Praktiken an der Universität, bei Ihnen im Sportverein oder bei Ihren Studierendenjobs. Diese kommunikativen Praktiken strukturieren unser aller Alltag ganz maßgeblich.
Was finden Sie an der Essener Kommunikationswissenschaft besonders?
Die Essener Kommunikationswissenschaft hat durch ihren Blick auf die Emergenz von Kommunikationsprozessen einen „Sonderstatus“ innerhalb der Kommunikationswissenschaft. Das gefällt mir sehr gut! Man entwickelt hier ein Reflexionspotenzial für konkrete Kommunikationssituationen, macht sich Gedanken, in welcher Gesellschaft wir leben und bekommt so eine Sensibilität für Details sozialer Wirklichkeit. Das ist etwas ganz Besonderes, was wir uns hier analytisch angucken.
Wie grenzt sich die Essener Kommunikationswissenschaft noch von den Instituten ab, an denen Sie vorher gearbeitet haben?
Thematisch war das Institut in Konstanz spezialisierter, in Frankfurt war es dann viel breiter. Aber alle Institute waren größer als die Essener Kommunikationswissenschaft. Hier ist es überschaubarer und flexibler; es ist ein Institut der kurzen Wege. Das finde ich angenehm. Man merkt aber schon, dass sich die Studierenden für andere politische Themen interessieren als z. B. die Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler in Frankfurt. Ebenso ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich Ihre anderen Studienfächer sind, so dass manchmal ein gemeinsamer grundlagentheoretischer Bezugsrahmen fehlt. Das ist für mich erst einmal eine Herausforderung.
Was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklung der Essener Kommunikationswissenschaft?
Wir sind sehr in den geisteswissenschaftlichen Kontext eingebunden, das gefällt mir an sich sehr gut. Ich fänd’s schön, wenn man sich noch weiter öffnen würde, auch gegenüber gesellschaftswissenschaftlichen Fragestellungen und Instituten. Ich glaube, das ist wichtig, auch um voneinander zu profitieren.
Wie stellen Sie sich die Zukunft Ihrer Professur vor?
Es gibt vier thematische Stränge, die inhaltlich vor dem Hintergrund ihrer organisationalen Prägungen weiterverfolgt werden sollen. Dazu gehören Mobilität, Zeitlichkeit bzw. Zukunft, Wandel der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung und die Grenzthematik. Die Professur soll aktuelle sozialtheoretische Diskurse aufnehmen und Themen wie Materialität, Körperlichkeit und Agency berücksichtigen. Schön fände ich es, wenn wir dabei stärker in Kontakt mit der Praxis kommen. Die genauen Formate dazu müsste man sich noch überlegen. Darüber hinaus gibt es zu den kulturwissenschaftlichen Border Studies verschiedene Veranstaltungen und Forschungskooperationen und es entstehen gerade wichtige Publikationen zu dem Thema. Zeitgenössische Arbeitswirklichkeiten werden in einem Forschungsprojekt im Moment weiter vertieft und was da sonst noch kommt, darf ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten. Auf der Ebene des Instituts möchte ich mich bemühen, die Analyse institutioneller Kommunikationsprozesse auch intern stärker zu einem Thema zu machen.
Wie war es, elf Jahre nach Ihrem Studium wieder nach Essen zurückzukehren?
Es war eine lustige Form von „nach Hause“ kommen. Viele Freunde und Bekannte von damals wohnen hier ja noch. Jetzt habe ich aber eine andere Perspektive auf die Stadt – es hat sich ja viel verändert. Es ist aber interessant, dass die Vergangenheit einen trotzdem immer wieder einholt. Mir passiert es regelmäßig, dass ich auf Leute von früher treffe. Aber dann gibt’s auch absurde Sachen, beispielsweise hatte ich in der Bibliothek noch vier Euro Gebühren offen für Bücher, die ich als Student ausgeliehen hatte.
Sie pendeln zwischen Essen und Berlin…
Genau, in Berlin habe ich ein großes familiäres Netz und freundschaftliche Bindungen, weswegen ich immer hin und her fahre.
Wie empfinden Sie das?
Das sind fast vier Stunden freie Zeit, in denen ich weder familiär noch universitär eingebunden bin. Das ist eine besondere Konzentrationszeit. Ich versuche, sie als Arbeits-, Erholungs- oder Eigenzeit zu nutzen. Verspätungen oder Bahnstörungen trüben die Freude darüber aber eher.
Sehen Sie sich als einen guten Dozenten?
Ich hadere immer wieder mit der Rolle. Es wäre mir häufig lieber, wenn wir in Seminaren stärker auf Augenhöhe miteinander sprechen könnten. Oft gibt es aber spürbare Wissensasymmetrien, auch zwischen Studierenden, die erst einmal überwunden werden müssen. Ich denke, es gibt unterschiedliche Formate, die gut sind für Studierende. Und ich muss immer wieder herausfinden, was gut funktioniert und was nicht. Am liebsten würde ich in einer lockeren Runde sitzen und mit Spaß und Engagement über Themen diskutieren – aber das geht selbstverständlich nicht für alle Veranstaltungen.
Haben Sie abschließend noch Tipps für uns Studierende?
Sie sind sehr viel mehr Expertinnen und Experten ihrer Studienwirklichkeit als ich, aber was ich vielleicht mitgeben kann: Nehmen Sie sich Momente der Selbstreflexion und gönnen Sie sich möglicherweise den Luxus, ein oder zwei Semester länger zu studieren, sofern es finanziell möglich ist. Wenn Sie arbeiten müssen, dann nehmen Sie sich Zeit dafür, aber wissen Sie auch, dass ein Studium eine Vollzeitarbeit ist. Nehmen Sie sich diese Zeit für das Studium und überlegen Sie, ob womöglich ein Teilzeitstudium eine bessere Option ist. Außerdem muss man nicht unbedingt in allen Fächern gleichermaßen brillieren. Konzentrieren Sie sich auf Dinge, die Sie gerne und gut machen. Gucken Sie, inwiefern die Kommunikationswissenschaft hilft, für Sie interessante Fragen zu beantworten.
Das Interview wurde im Wintersemester 2018/2019 im Rahmen des Praxisseminars "Magazinjournalismus: So entsteht ein NEK-Mag" unter der Leitung von Professor Dr. Sebastian Meißner konzipiert und realisiert. Für die Veröffentlichung auf der NEK-Homepage wurde der Einführungstext geringfügig überarbeitet.